Auffahrunfall einmal anders

„Wer auffährt hat Schuld“ ist nicht nur im Allgemeinwissen des deutschen Autofahrers verankert, sondern auch ein Grundsatz des Beweisrechts; der sogenannte Anscheinsbeweis. Weil üblicherweise der Auffahrende die im Verkehr erforderliche Sorgfalt mißachtet und den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat oder einfach unaufmerksam war, geht man davon aus, dass er den Unfall schuldhaft verursacht hat.

Der Anscheinsbeweis kann allerdings erschüttert werden, wie es in einem Fall geschehen ist, den das OLG Koblenz zu entscheiden hatte. Eine PKW-Fahrerin hatte einen LKW überholt, nur um direkt nach dem Wiedereinscheren eine Vollbremsung einzuleiten. Mit diesem Verhalten wollte sie dem LKW-Fahrer heimzahlen, dass sie seinetwegen kurz zuvor ebenfalls eine Vollbremsung durchführen musste. Der LKW konnte jedoch – anders als die PKW-Fahrerin zuvor – sein Fahrzeug nicht rechtzeitig bremsen und fuhr auf. Das Gericht erkannte, dass in einem solchen Fall der Anscheinsbeweis als erschüttert gilt, weil der LKW-Fahrer mit einer scheinbar grundlosen Bremsung nicht zu rechnen hatte.

OLG Koblenz, Beschluss vom 16.12.2021, Az: 12 U 1518/21