Fiktive Schadensabrechnung

Nach einem Verkehrsunfall kann der Geschädigte wählen, ob er von dem gegnerischen Haftpflichtversicherer die Kosten der tatsächlich durchgeführten Reparatur verlangt, oder nur den Betrag fordert, der von einem Sachverständigen als für die Reparatur erforderlich errechnet wird. In letzterem Fall spricht man von der fiktiven Schadensabrechnung. Das Geld kann der geschädigte sodann nach seinem Belieben verwenden.

Anders als bei der konkreten Abrechnung auf Basis der Reparaturkostenrechnung kann bei der fiktiven Schadensabrechnung Mehrwertsteuer nicht geltend gemacht werden, weil sie tatsächlich nicht anfällt und in sofern auch keine Schadensposition darstellt.

Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden, dass es nicht möglich ist, fiktiv abzurechnen, dann eine Teilreparatur vorzunehmen und Mehrwertsteuer zurückzuverlangen, die auf verwendete Ersatzteile angefallen und bezahlt worden ist. Der Geschädigte kann also entweder fiktiv oder konkret abrechnen. Eine Vermischung der beiden Methoden ist nicht zulässig.

BGH, Urteil vom 5.4.2022, Az: VI ZR 7/21

Haftung bei beidseitiger Fahrbahnverengung

Bei einer beidseitigen Fahrbahnverengung besteht kein regelhafter Vorrang eines der beiden bisherigen Fahrstreifen. Es gilt vielmehr das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme. Kommt es zum Unfall, haften beide beteiligten Fahrzeuge je zur Hälfte. Auf die höhere Betriebsgefahr eines der Fahrzeuge (z.B. LKW) kommt es nur in Ausnahmefällen an, wenn nämlich sich die höhere Betriebsgefahr konkret ausgewirkt hat.

BGH, Urteil vom 8.3.2022, Az: VI ZR 47/21

Auffahrunfall einmal anders

„Wer auffährt hat Schuld“ ist nicht nur im Allgemeinwissen des deutschen Autofahrers verankert, sondern auch ein Grundsatz des Beweisrechts; der sogenannte Anscheinsbeweis. Weil üblicherweise der Auffahrende die im Verkehr erforderliche Sorgfalt mißachtet und den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat oder einfach unaufmerksam war, geht man davon aus, dass er den Unfall schuldhaft verursacht hat.

Der Anscheinsbeweis kann allerdings erschüttert werden, wie es in einem Fall geschehen ist, den das OLG Koblenz zu entscheiden hatte. Eine PKW-Fahrerin hatte einen LKW überholt, nur um direkt nach dem Wiedereinscheren eine Vollbremsung einzuleiten. Mit diesem Verhalten wollte sie dem LKW-Fahrer heimzahlen, dass sie seinetwegen kurz zuvor ebenfalls eine Vollbremsung durchführen musste. Der LKW konnte jedoch – anders als die PKW-Fahrerin zuvor – sein Fahrzeug nicht rechtzeitig bremsen und fuhr auf. Das Gericht erkannte, dass in einem solchen Fall der Anscheinsbeweis als erschüttert gilt, weil der LKW-Fahrer mit einer scheinbar grundlosen Bremsung nicht zu rechnen hatte.

OLG Koblenz, Beschluss vom 16.12.2021, Az: 12 U 1518/21

Äußerungen am Unfallort

Das OLG Hamm hat entschieden, dass in der Äußerung eines Unfallbeteiligten direkt am Unfallort grundsätzlich kein deklaratorisches Schuldanerkenntnis darstellt. Unmittelbar nach dem Unfall hatte der Fahrer eines der Fahrzeuge angegeben, er trage die volle Schuld, weil er den anderen Wagen nicht gesehen habe. Das Gericht stellte fest, dass eine solche Äußerung regelmäßig ohne Rechtsbindungswillen getätigt werde.

OLG Hamm, Beschluss vom 22.2.2021, 7 U 16/20

Der Ausfallschaden bei einem gewerblich genutzten Fahrzeug

Wird bei einem Verkehrsunfall ein Auto beschädigt, hat der Eigentümer Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihm dadurch entsteht, dass er das Fahrzeug während der Reparatur nicht nutzen kann. Der Geschädigte kann wählen, ob er für die Zeit einen Mietwagen nimmt, oder eine Nutzungsausfallentschädigung geltend macht. Letztere bemisst sich nach dem Wert des geschädigten Fahrzeugs.

Eine Nutzungsausfallentschädigung kann der Geschädigte nicht geltend machen, wenn er das Fahrzeug ausschließlich gewerblich nutzt. Für den Fall stehen ihm andere Möglichkeiten zu, seinen Schaden ersetzt zu verlangen.

  1. Mietwagenkosten: Grundsätzlich können die Kosten für ein ersatzweise angemietetes Fahrzeug geltend gemacht werden. Dieses gilt in den meisten Fällen auch für Fahrzeuge mit Sonderausstattung, wie z.B. Taxis. Diese werden nur zu besonders hohen Tarifen vermietet, die erstattungsfähig sind. Der Geschädigte muss sich nur ersparte Aufwendungen anrechnen lassen.
  2. Entgangener Gewinn: Wenn dem Geschädigten durch den Ausfall des Fahrzeugs die Möglichkeit genommen wird, Umsatz zu generieren, kann er den daraus zu errechnenden entgangenen Gewinn geltend machen. Die Anforderungen an den „Beweis“ insbesondere zur Höhe des entgangenen Gewinns sind jedoch relativ hoch und umständlich zu erbringen.
  3. Vorhaltekosten: Wenn der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug bereithält, nur um dieses für den Fall des Ausfalls des Hauptfahrzeugs nutzen zu können, können die für dieses vorgehaltene Fahrzeug angefallene Kosten geltend gemacht werden. Die Ermittlung der Höhe dieser Kosten erfolgt unter Zuhilfenahme entsprechender Tabellen, z.B. Sanden/Danner

Ersatz des Neuwerts bei Verkehrsunfall

Wird bei einem Verkehrsunfall ein neuwertiges Fahrzeug beschädigt, hat der Geschädigte (wenn er den Unfall nicht zu verschulden hatte) Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises für ein gleichwertiges Neufahrzeug, wenn er dieses tatsächlich kauft.

Voraussetzung für diesen Anspruch ist, dass das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt nicht mehr als 1.000 km (Orientierungsgrenze) gelaufen hatte und die Beschädigung durch den Unfall erheblich war. Wenn sich der Geschädigte in einem solchen Fall gegen die Reparatur entscheidet und ein gleichwertiges Neufahrzeug kauft, kann der den vollen Kaufpreis vom Unfallgegner fordern.

BGH, Urteil vom 29.9.2020, Az: VI ZR 271/19