Keine Zehn-Jahres-Frist bei Wohnungsrecht an ganzem Gebäude

von | 23.Sep.2022 | Erbrecht

Vorab: Wird ein gesetzlicher Erbe vom Erblasser enterbt, hat er einen Pflichtteilsanspruch gegen die Erben. Hat der Erblasser Schenkungen getätigt, um den verbleibenden Nachlass zu schmälern und somit auch den Pflichtteilsanspruch zu mindern, hat der Enterbte einen Pflichtteilsergänzungsanspruch. Zur Berechnung der Höhe des Pflichtteilsanspruchs wird dazu der Wert der Schenkung dem Nachlass addiert. Besonderheit: Liegt die Schenkung länger als 10 Jahre zurück (also vor dem Erbfall), wird die Schenkung nicht berücksichtigt, also der Nachlasswert nicht rechnerisch erhöht. Zudem wird für jedes Jahr ab Schenkung 1/10 von dem Wert abgezogen.

Das OLG München hat nun entschieden, dass der Beginn der Berechnung der 10-Jahres-Frist erst dann anzunehmen ist, wenn das Geschenk wertmäßig beim Beschenkten ankommt. Im zu entscheidenden Fall hatte der Erblasser eine Immobilie geschenkt und sich gleichzeitig das alleinige Wohnungsrecht vorbehalten. Das bedeutete, dass der Beschenkte die Immobilie in keiner Weise nutzen oder irgendwie zu Geld machen konnte. Das Geschenk erreichte den Beschenkten so gesehen erst zu dem Zeitpunkt, als das Wohnungsrecht erlosch, also mit dem Tode des Schenkers. Von der 10-Jahres-Frist konnten die Erben daher nicht profitieren.

OLG München, Urteil vom 8.7.2022, Az: 33 U 5525/21