Aktuelles
Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse
Das OLG Oldenburg hatte über die Frage zu entscheiden, wann Verkehrsteilnehmer eine Rettungsgasse zu bilden haben; konkret, ob es eine Übrerlegensfrist gibt.
Nach dem Gesetzeswortlaut ist eine Rettungsgasse zu bilden, „sobald Fahrzeuge … mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder sich die Fahrzeuge im Stillstand befinden.“. Nach Ansicht des Gerichts wird damit hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass eine Überlegensfrist nicht bestehet, sondern die Pflicht sofort in dem Moment greift, in dem die Voraussetzungen eintreten.
OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.9.2022, Az: 2 Ss (OWi) 137/22
E-Scooter und Trunkenheit im Straßenverkehr
Es finden sich immer mehr Urteile, in denen die Gerichte eine Indizwirkung des § 69 II Nr. 2 StGB ablehnen. Diese Indizwirkung besagt, dass dem Betroffenen die Fahrerlaubnis zu entziehen ist, wenn er sich wegen Trunkenheit im Straßenverkehr schuldig gemacht hat. Die Vorschrift verweist demnach auf eine andere Vorschrift im Strafgesetzbuch, nämlich § 316 StGB, demzufolge das Führen eines Kraftfahrzeugs unter dem Einfluss von berauschenden Mitteln strafbar ist.
So geht auch das Landgericht Chemnitz davon aus, dass E-Scooter insofern nicht unter den Begriff des Kraftfahrzeugs fallen, weil sie gegenüber einspurigen Kraftfahrzeugen eine verringerte abstrakte Gefährlichkeit aufweisen und aufgrund des geringen Gewichts und der geringen Geschwindigkeit eher mit der Gefährlichkeit eines Pedelecs (E-bike) zu vergleichen sind.
LG Chemnitz, Beschluss vom 9.8.2022, Az. 4 Qs 283/22
„Werkstattrisiko“ bei Reparaturkostenersatz
Gegenstand des BGH-Urteils war die Frage, wer die Werkstattkosten zu tragen hat, die aufgrund von unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise entstanden sind. Der Geschädigte hatte sein Fahrzeug zur Reparatur abgegeben und der Haftpflichtversicherer hatte später gerügt, dass die Reparaturrechnung deutlich höher ausgefallen war, als bei vergleichbaren Werkstätten zu erwarten gewesen wäre. Weil den Unfallgeschädigten aber kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden im Hinblick auf die ausgewählte Werkstatt traf, entschied der BGH, dass der Haftpflichtversicherer die übersteigenden Kosten und somit das „Werkstattrisiko“ zu tragen habe.
BGH, Urteil vom 26.4.2022, Az. VI ZR 147/21
Haftungsverteilung bei „Dooring-Unfällen“
Mit Dooring-Unfällen werden Zusammenstöße von Radfahrern mit sich plötzlich öffnenden Autotüren umschrieben. Das Landgericht Köln hatte sich mit einem entsprechenden Fall zu befassen und hat entschieden, dass von einer hundertprozentigen Haftung des Autofahrers auszugehen ist, wenn kein Mitverschulden des Radfahrers festgestellt werden kann. Mitverschulden des Radfahrers kann aus ursächlichem Verhalten geschlossen werden, wie z.B. zu geringer Abstand. Eine zu hohe Geschwindigkeit löst nicht ohne Weiteres ein Mitverschulden aus.
LG Köln, Urteil vom 2.8.2022, Az: 5 O 372/20
Keine Zehn-Jahres-Frist bei Wohnungsrecht an ganzem Gebäude
Vorab: Wird ein gesetzlicher Erbe vom Erblasser enterbt, hat er einen Pflichtteilsanspruch gegen die Erben. Hat der Erblasser Schenkungen getätigt, um den verbleibenden Nachlass zu schmälern und somit auch den Pflichtteilsanspruch zu mindern, hat der Enterbte einen Pflichtteilsergänzungsanspruch. Zur Berechnung der Höhe des Pflichtteilsanspruchs wird dazu der Wert der Schenkung dem Nachlass addiert. Besonderheit: Liegt die Schenkung länger als 10 Jahre zurück (also vor dem Erbfall), wird die Schenkung nicht berücksichtigt, also der Nachlasswert nicht rechnerisch erhöht. Zudem wird für jedes Jahr ab Schenkung 1/10 von dem Wert abgezogen.
Das OLG München hat nun entschieden, dass der Beginn der Berechnung der 10-Jahres-Frist erst dann anzunehmen ist, wenn das Geschenk wertmäßig beim Beschenkten ankommt. Im zu entscheidenden Fall hatte der Erblasser eine Immobilie geschenkt und sich gleichzeitig das alleinige Wohnungsrecht vorbehalten. Das bedeutete, dass der Beschenkte die Immobilie in keiner Weise nutzen oder irgendwie zu Geld machen konnte. Das Geschenk erreichte den Beschenkten so gesehen erst zu dem Zeitpunkt, als das Wohnungsrecht erlosch, also mit dem Tode des Schenkers. Von der 10-Jahres-Frist konnten die Erben daher nicht profitieren.
OLG München, Urteil vom 8.7.2022, Az: 33 U 5525/21
Kein „Rechts-vor-links“ auf Parkplätzen
Auf größeren Parkplatzanlagen stellt sich häufig die Frage, ob die allgemeinen Verkehrsregeln gelten. Hierzu hat sich das Oberlandesgericht Frankfurt in einem Urteil geäußert. Demzufolge kommt es entscheidend darauf an, ob Fahrbahnmarkierungen oder bauliche Anlagen wie Bordsteine oder Gräben „eindeutig und unmissverständlich“ auf einen Straßencharakter hinweisen und zudem ausreichend Raum für Begegnungsverkehr innerhalb der Fahrspuren vorhanden ist. Nur dann kommt die Heranziehung allgemeiner Verkehrsregeln wie „Rechts-vor-links“ in Betracht.
Auf allen übrigen Parkplätzen gilt ausschließlich das allgemeine Rücksichtnahmegebot. Kreuzen sich zwei Fahrgassen, ist jeder Fahrzeugführer verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem jeweils anderen Fahrzeugführer zu suchen.
OLG Frankfurt, Urteil vom 22.6.2022, 17 U 21/22
Hälftige Haftung bei Fahrbahnverengung
Verengt sich die Fahrbahn auf beiden Seiten, also für jeden der sich begegnenden Verkehrsteilnehmer, gilt das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme gem. § 1 StVO
BGH, Urteil vom 8.3.2022, Az: VI ZR 47/21
Keine Zahlung bei mangelhafter Kaufsache
Weist die Kaufsache einen behebbaren Mangel auf, ist der Käufer grundsätzlich selbst dann berechtigt, gem. § 320 I BGB die Zahlung des Kaufpreises ingesamt zu verweigern, wenn es sich um einen geringfügigen Mangel handelt
BGH, Urteil vom 19.11.2021, Az: V ZR 104/20
Wechselbezüglichkeit testamentarischer Verfügungen
Ehegattentestamente werden in der Weise aufgesetzt, dass sich die Erblasser gegenseitig zu Erben einsetzen. Es wird dann davon ausgegangen, dass die Einsetzung des einen Ehegatten nur erfolgte, weil auch der andere entsprechendes verfügt hat. Entsprechend können die Einsetzungen ohne Zustimmung des jeweils anderen nicht mehr geändert werden.
Das gilt auch für die weiteren Erbeinsetzungen in demselben Testament. Der BGH hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem sich kinderlos gebliebene Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben und Verwandte beider Seiten zu Schlusserben eingesetzt hatten. Hier ist einerseits die gegenseitige Einsetzung der Ehegatten und andererseits die Einsetzung der jeweiligen Verwandten gegenseitig.
BGH, Beschluss vom 21.4.2022, Az: 3 Wx 82/21
Fehlende Belehrung bei Befragung durch Polizei
Die Halterin eines Fahrzeugs, das in einen Unfall verwickelt war und sich unerlaubt entfernt hatte (Unfallflucht) wurde an ihrem Wohnort von der Polizei aufgesucht. Es hatte eine Beschreibung eines Zeugen gegeben, die auf die Dame passte. Gegenüber der Polizei hatte die Frau zugegeben, gefahren zu sein. Erst daraufhin wurde sie von den Beamten über ihre Rechte belehrt.
Zu spät, wie das Landgericht Nürnberg-Fürth in einer aktuellen Entscheidung festgestellt hat. Die Frau hätte vor Beginn ihrer Aussage als Beschuldigte belehrt werden müssen. Da das nicht geschehen ist, konnte das Ergebnis der Befragung nicht im Prozess verwendet werden mit der Folge, dass die Frau freigesprochen wurde.
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 28.6.2022, Az: 5 Qs 40/22